NEWSTERMINEDie SchwarzaNaturschutzWERRA NIXEDOWNLOADSPARTNER & SPONSORENLINKSKONTAKTIMPRESSUM

Hochwasser an der Elbe:
"Behörden haben eklatant versagt"

Elbe, 15. 04. 2006; Artikel aus der Landeszeitung für die Lüneburger Heide

BUND-Experte Dr. Dörfler erhebt Vorwürfe und fordert ein länderübergreifendes Konzept für Hochwasserschutz

Deutschland hat keine Lehren aus dem Jahrhunderthochwasser 2002 gezogen. Denn den Flüssen wurde nicht wieder genügend Überflutungsflächen zurückgegeben. Stattdessen läuft die Kanalisierung der Flüsse weiter, sagt Dr. Ernst Paul Dörfler, Leiter des BUND-Elbeprojektes, gegenüber unserer Zeitung. Dörfler erhob zudem Vorwürfe gegen die zuständigen Behörden, deren Prognosen für das Ausmaß des neuen Elbe-Hochwassers schwerwiegende Fehler aufwiesen.


Ist nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Hochwasserproblematik von Menschenhand angefacht?

Dr. Ernst Paul Dörfler: Selbstverständlich. Schon seit Jahrzehnten werden die Flüsse und das gesamte Einzugsgebiet der Flüsse stark verändert. Dies betrifft auch die Elbe. Das entscheidende daran ist, dass die Elbe mehr als 80 Prozent ihrer natürlichen Überflutungsauen verloren hat. Die Auen sind von der Natur "erfundene" Flächen, die bei einem Hochwasser überflüssiges Wasser aufnehmen und zwischenlagern können. Das funktioniert immer weniger in dem Maße, in dem die Auen durch Deichbau vom Fluss abgeriegelt werden.


Hat Deutschland keine Lehren aus dem Jahrhunderthochwasser 2002 gezogen?

Dörfler: Das würde ich bejahen. Die bisherigen Maßnahmen waren einseitig rein technisch ausgerichtet auf die Erhöhung von Deichen und Hochwasserschutzmauern. Zwei Hauptkritikpunkte: Den Flüssen wurde nicht wieder genügend Raum, also Überflutungsfläche, zurückgegeben. Zudem läuft die Kanalisierung der Flüsse weiter. So wird der Saale-Kanal weiterverfolgt, und der leitet die Kanalisierung der Elbe zwangsläufig ein. Diese Kanalisierung bedeutet wieder noch weniger Überflutungsräume, noch höhere und häufigere Hochwasser-Ereignisse als in der Vergangenheit.


Was sollte sofort umgesetzt werden, um die Situation an der Elbe zu verbessern?

Dörfler: Als Erstes muss der Ausstieg aus der Flusskanalisierung politisch gewollt sein. Die Flüsse dürfen nicht zu Wasserstraßen degradiert werden. Zweitens muss ein länderübergreifendes Konzept für vorsorgenden Hochwasserschutz auf den Weg gebracht werden. Hochwasserschutz allein zur Ländersache zu erklären, führt dazu, dass viele Maßnahmen nicht oder nur zögerlich auf den Weg gebracht werden. Deshalb fordern wir vom BUND mehr Bundeskompetenz, um ein Gesamtkonzept Hochwasserschutz mit dem Schwerpunkt neue Überflutungsflächen zu schaffen.


Die Föderalismusreform sieht aber mehr Länderkompetenzen im Bereich Umweltschutz vor. Fürchten Sie damit einen Rückschritt?

Dörfler: Wenn die Fragen Naturschutz und Hochwasserschutz zu den Ländern delegiert werden, und der Bund immer weniger Einfluss hat, ist das in der Tat ein fatales Signal, eine falsche Weichenstellung. Ich hoffe sehr, dass dieses Hochwasser doch noch einmal wachrüttelt, und gerade Hochwasser- und Naturschutz zur Bundeskompetenz erklärt werden.


Sind Auenprojekte und Landwirtschaft überhaupt miteinander vereinbar?

Dörfler: Das war in der Vergangenheit immer vereinbar. Das Problem ist nur, dass sich Ackerbau und Hochwasserschutz nicht gut vertragen. Grünlandnutzung, Wiesen- und Waldnutzung sind geeigneter. Dort kann das Hochwasser keinen großen Schaden anrichten. Äcker hingegen können vom Hochwasser abgetragen und damit auch Agro-Chemikalien in den Fluss eintragen werden. Letztlich ist es also eine Frage der Nutzungsart. Landwirtschaft und Auenprojekte sind vereinbar, aber viele Landwirte wollen nicht freiwillig von einem ertragreicheren Ackerbau auf Grünland umstellen. Da muss es Entschädigungen oder zumindest Anreize geben, um diese Umstellung freiwillig auf den Weg zu bringen. Dann haben wir wieder ausreichend Flächen. Denn die Elbe hat noch relativ unbebaute Fläche im Gegensatz zum Rhein. Diese Flächen muss die Elbe zurückbekommen, damit die Hochwasserstände sinken. Ansonsten werden wir immer wieder diesen gigantischen Aufwand mit der Hochwasserabwehr treiben müssen.


Gerade in der Elbtalaue gibt es derzeit große Probleme für die Landwirtschaft. Im Deichvorland sind alarmierend hohe Dioxinlasten von der Flut 2002 nachgewiesen worden. Muss das Deichvorland für landwirtschaftliche Betriebe gesperrt werden?

Dörfler: Das ist eine Entscheidung, die von den zuständigen Behörden getroffen werden muss. Wenn man zu dem Ergebnis kommt, das Risiko der Belastung ist zu groß, gibt es dafür keine andere Lösung. Insgesamt muss man sagen, dass auch die Dioxinbelastung ein Ergebnis unterlassenen Umweltschutzes in der Vergangenheit ist. Dass sollte uns zu denken geben. Eine Missachtung von Umweltbelangen führt am Ende oft zu sehr großen Schäden.


In Lenzen in der Prignitz läuft das größte Rückdeichungsprojekt Europas. Dort entsteht eine 420 Hektar große Auenlandschaft. Sind an anderen Stellen der Elbe solche Projekte überhaupt ohne Enteignungen durchsetzbar?

Dörfler: Es gibt noch ein zweites Rückdeichungsprojekt bei Dessau, dass mit 500 Hektar noch größer ist. Das sind allerdings die beiden einzigen heißen Eisen, die wir an der Elbe haben. Allgemein ist ein Rückbau machbar. Es dauert mit rund zehn Jahren aber zu lange. Es muss zügiger gehen. Dazu muss es keine Enteignungen geben, es kann über Entschädigungen oder Flächentausch geregelt werden. Letztlich haben wir keine Alternativen. Wir müssen dem Fluss Flächen zurückgeben, sonst werden wir mit immer höheren Wasserständen zu kämpfen haben. Und da werden uns noch höhere Deiche auch nichts nützen.


Sie haben anfangs erwähnt, dass die Elbe 80 Prozent ihrer ursprünglichen Überschwemmungsfläche verloren hat. Reicht ein Hochwasserschutzkonzept, das der Elbe ihre ursprüngliche Auenflächen in Deutschland zurückgibt, überhaupt aus angesichts der Ankündigung Tschechiens, Milliarden Euro in den Deichbau zu investieren?

Dörfler: Sehen Sie, genau das ist der Punkt. Wenn alle nur an sich denken, eine Art Kirchturmpolitik betreiben und das Wasser möglichst schnell auf die Reise schicken wollen, ist das keine tragfähige, zukunftsfähige Lösung. Wir müssen von der Quelle bis zur Mündung und einschließlich jeden Nebenflusses nach Möglichkeiten suchen, natürliche Rückhalteflächen zu reaktivieren. Wir brauchen gesunde statt kranke Wälder, intakte Moore und Feuchtwiesen statt entwässerte Moore, natürliche Bach- und Flussläufe statt begradigte Abflussrinnen. Das betrachte ich als einzige Alternative. Das setzt aber einen politische Willen voraus, der auch anhält und nicht nur in Hochwasserzeiten demonstriert wird. Wenn wir in den kommenden Jahren nicht handeln, werden die Schäden so gigantisch sein, dass wir am Ende bedauern müssen, diesen Aufwand nicht getrieben zu haben. Ein Aufwand, der natürlich Geld kostet, Aber kein Hochwasserschutz wird uns noch sehr viel teurer kommen.


Sehen Sie Chancen auf eine staatenübergreifende Lösung, die von Brüssel aus gesteuert werden könnte? Oder ist dort die Umweltschutz-Lobby zu schwach?

Dörfler: Eigentlich brauchen wir ein europäisches Hochwasserschutzgesetz. Die Lobby ist dort allerdings längst nicht so stark wie die, die Flüsse weiter zu Wasserstraßen ausbauen möchte. Hier bedarf es dringend eines Umdenkens. Die Mittel sollten nicht weiter in Wasserstraßenprojekte gesteckt werden, sondern in nachhaltige Hochwasserschutzprojekte. Zugegeben, wir sind da noch ganz am Anfang in Brüssel. Aber jedes Hochwasser wird, so vermute ich, dazu beitragen, die Umweltschutz-Lobby zu stärken. Das ist zumindest meine Hoffnung. Und die lasse ich mir nicht nehmen.


Unter deutscher Führung wird derzeit in Südostasien ein Tsunami-Frühwarnsystem installiert. Das Ausmaß des aktuellen Elbehochwassers ist allerdings völlig unterschätzt worden. Warum tun sich Experten damit so schwer?

Dörfler: Was in Niedersachsen abgelaufen ist, halte ich für skandalös. Hier haben die Behörden schlichtweg nicht ordentlich gearbeitet, haben die Situation verpennt. Zu entwarnen statt zu warnen, halte ich für einen schwerwiegenden Fehler. Gerade Niedersachsen hat sehr viel mehr Zeit, sich auf eine Hochwasserwelle einzustellen als etwa Dresden. Hier liegt ein gravierender Fehler der Behörden vor, der meiner Ansicht nach Konsequenzen haben muss.


Ist die Verstärkung der Deiche etwa in Sachsen und Sachsen-Anhalt seit 2002 auch ein Grund der Unterschätzung? Denn so hat sich der Kanalisisierungs-Effekt verstärkt und damit die Fließgeschwindigkeit der Elbe erhöht.

Dörfler: Natürlich, Sie haben völlig Recht. 2002 hat sich der Fluss mit aller Gewalt Platz verschafft und an verschiedenen Stellen die Altauen zurückerobert. Das war ihm jetzt nicht mehr möglich, weil fünf Milliarden Euro schwerpunktmäßig zur Verstärkung und Erhöhung der Deiche eingesetzt worden sind, ohne im Gegenzug für das Wasser zusätzliche natürliche Überschwemmungsflächen als Ausgleich zu schaffen. Aber das wissen doch die Behörden, das war ihnen bekannt. Eine Erklärung, eine Entschuldigung ist das nicht wirklich. Mir war klar, - und das habe ich auch schon 2002 und zu jedem Jahrestag gesagt - dass ein allein technisch ausgerichteter Hochwasserschutz nur dazu führen wird, dass die Hochwasserwellen schneller und höher auflaufen werden. Und genau das ist eingetreten. Die Problematik ist eigentlich jedem bekannt, der mit gesundem Menschenverstand an die Sache herangeht. Also: hier haben die zuständigen Behörden wirklich eklatant versagt.

Das Interview führte Werner Kolbe


Ein Kämpfer für die Elbe-Auen

Der Schriftsteller, Publizist und Ökologe Dr. Ernst Paul Dörfler leitet seit 1993 das Elbe-Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). Dörfler wurde am 15. Mai 1950 in Kemberg bei der Lutherstadt Wittenberg geboren, wuchs zwischen Elbe und Dübener Heide auf. Nach dem Abitur 1986 und einem Studium promovierte er zum Dr. rer. nat. an der TU Magdeburg. Von 1977 bis 1982 war er als Ökochemiker im Institut für Wasserwirtschaft Berlin tätig. Dörfler ist Autor mehrerer (geheimgehaltener) DDR-Umweltstudien. Seit 1983 ist er freiberuflicher Schriftsteller, Publizist und Ökologe. 1990 war er Abgeordneter der frei gewählten Volkskammer sowie bis zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen. Dörfler hat 2002 den Umweltliteraturpreis des Landes Brandenburg für sein Buch "Wunder der Elbe" erhalten. Daneben sind zahlreiche weitere Sachbücher erschienen. wko

Link zur Landeszeitung für die Lüneburger Heide

Pressemeldung des BUND zum Hochwasserschutz in Thüringen

zurück zu NEWS

 

News 2006



Schwarza-News April 2006
living-rivers.de

Flussbilder - Galerien