Während
Thüringen in naturnahen Fluss investiert, will K+S mehr Salz in die Werra
einleiten - mit Erfurter Erlaubnis
24. 03. 2006 (Artikel in der Südthüringer Zeitung "Freies Wort")
VON REDAKTIONSMITGLIED JENS VOIGT
Helmut Förster fischt seit 35 Jahren in der Werra; sein Lieblingsplatz
ist die Kurve mit den toten Bäumen im Fluss. Drei bis vier Meter geht
es dort hinunter, eine Super-Stelle für Hechte, wenn im Mai die Schonzeit
endet. Doch dann wird sich Förster beeilen müssen: Schon im Juni
könnten tonnenweise grüne Klumpen jegliche Fischweid vermiesen.
Gemeiner Darmtang, der eigentlich im Meer zu Hause ist.
„Seegras“ nennen die Angler von Neustädt bei Gerstungen das
Zeugs, das ihnen den Spaß verdirbt. Ganze Teppiche trudeln sommers den
Fluss hinab, reißen Schnüre mit, umhüllen die Köder.
Dabei sind die Fische ohnehin schwer zum Beißen zu verführen. „Die
kriegen doch genug“, sagt Förster. Wenn er Forelle, Aal oder Karpfen
aufschneidet, sind sie voll mit Getigerten Flohkrebsen. Die stammen eigentlich
aus Nordamerika. Jetzt leben sie in der Werra, quasi als Allein-Bewohner.
Wo normalerweise 60 bis 80 Arten von Kleinlebewesen zu finden sein müssten,
gibt es außer Flohkrebsen, Flohkrebsen und nochmals Flohkrebsen nur
noch eine neuseeländische Zwergschnecke und einen Strudelwurm. Alles
Fremdlinge, denen es in der Werra gefällt. Weil sie so schön salzig
ist.
Kein Ende der Salzfracht
Man kann es schmecken. Kostprobe in Gerstungen, Vergleich zwischen Supermarkt-Quellwasser
und einer geschöpften Tasse aus dem Fluss: Harter, deutlicher Salzgeschmack,
wie Kochwasser für Nudeln. Früher, sagt Förster, sei es viel
schlimmer gewesen, vorm Baden in der Werra hätten die Mütter gewarnt,
um Himmels willen kein Wasser zu schlucken. Bis zu 30 Gramm Salz je Liter
schleppte der Fluss aus dem Kali-Gebiet; heute sind es nach amtlicher Messung
um die 2200 Milligramm, 2500 sind als Grenzwert erlaubt. Es gibt jetzt wieder
Diskussionen deswegen. Weil, wie es aussieht, die Werra eine Salz-Rinne bleibt.
Oder bleiben soll.
Die K+S AG, größter europäischer Düngemittelproduzent,
plant eine Laugenleitung. 63 Kilometer lang, soll sie jährlich 500 000
bis 700 000 Kubikmeter Salzwasser von den Halden in Neuhof nach Phillipsthal
leiten. Dort fiele es ab 2008 in die Werra. Philippsthal liegt in Hessen,
aber nur ein paar hundert Meter flussabwärts beginnt wieder Thüringen.
Dasselbe Thüringen, das die Werra vor zwei Jahren auserkoren hat, zum
Vorbild in Sachen natürlicher Flusslandschaft zu werden. Allein knapp
fünf Millionen Euro wendet der Freistaat auf, um die Werra von Querbauwerken
wie Wehren zu befreien, damit Fische wieder barrierefrei hinauf und hinab
wandern können. Dazu noch einmal etwa 1,4 Millionen Euro für die
Ufer-Renaturierung des Werra-Zuflusses Ulster und den Anschluss von Werra-Altarmen
bei Sallmannshausen, praktisch in Sichtweite von Helmut Försters Lieblings-Angelplatz.
Ein Großteil der Thüringer Mittel zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie,
die ab 2015 einen „guten Zustand“ aller Fließgewässer
fordert, strömt mithin in die Werra.
K+S hat vor kurzem ein Rekordergebnis vermeldet, und man will noch mehr. Im
Werk Neuhof soll deshalb die Halde wachsen. Mehr Halde, mehr Salzwasser nach
Regen. Gleichzeitig gehen die Kapazitäten im Untergrund, wohin bislang
die Hälfte der Salzlake verpresst wurde, zur Neige. In Neuhof aber darf
nicht zusätzlich eingeleitet werden, Hessen erlaubt es nicht. Deshalb
die Leitung nach Phillipsthal. Die Genehmigung, dort mindestens bis 2012 einzuleiten,
besitzt der Konzern. Von Hessen und von Thüringen auch. Verlängert
zuletzt im August 2004. Da war das Thüringer „Modellvorhaben Werra“
gerade gestartet. Millionen-Investitionen für Aktionen nach dem Motto
„Unser Fluss soll schöner werden“, gleichzeitig Grünes
Licht für die Salz-Abgabe von K+S. Verschwendung also? Der Protest gegen
die geplante Leitung legt den Gedanken nahe. Grüne sowie der Bund für
Umwelt und Naturschutz (BUND) monieren den aus ihrer Sicht völlig überzogenen
Chlorid-Grenzwert von 2500, der europaweit einmalig sei und nichts mit der
Werra zu tun habe, wie sie als Mittelgebirgsfluss sein müsste: maximal
200 Milligramm Salz, besiedelt mit hunderten typischer Kleintiere und Pflanzen
sowie 20 bis 30 Fischarten, idealerweise Lachs und Stör eingeschlossen.
„Jetzt finden sich ja meist nur drei Fischarten“, meint BUND-Gewässerobmann
Stephan Gunkel.
Das stimmt so nicht. „Hecht, Karpfen, Ukelei, Bachforelle...“,
Helmut Förster zählt ein Dutzend Arten auf, die sich in seinem Werra-Abschnitt
tummeln. Andere, zum Beispiel die hessisch-thüringische „Hegegemeinschaft
Werra“ kommen sogar auf über 20. Das Problem jedoch: Die Fische
kommen zum Fressen, nicht zum Laichen. Gut 2000 Euro pro Jahr zum Beispiel
werfen die Neustädter Angler als „Besatz“ in den Fluss, selbst
Zährten, die sie gar nicht fangen dürfen. „Naturschutz ist
uns wichtig“, sagt der Vorsitzende Förster. Doch die salzige Werra
gefällt den Fischen nur als Aquarium; vermehren wollen sie sich nicht.
Eine Studie der „ARGE Weser“ hat bereits 1998 die Ursache definiert:
Nur bei unter 1250 Milligramm Chlorid je Liter kann Fischbrut überleben
– das wäre die Hälfte des heutigen Grenzwerts. Selbst der
aus dem Meer aufsteigende Lachs, wenn er denn irgendwann käme, hätte
nach Ansicht des Kasseler Fischbiologen Ulrich Braukmann kurz hinter Eisenach
ein Problem: Im dortigen Salzwasser würde er vermuten, wieder kurz vorm
Ozean zu stehen – und entweder umdrehen oder, weil er seinen Stoffwechsel
ändert, verhungern.
Als „völligen Unsinn“ disqualifiziert Braukmann nebenher
das vom zuständigen Referatsleiter im Thüringer Umweltministerium
benutzte Argument, ein kurzfristiges Absenken des Grenzwertes würde die
heutige Werra entvölkern. „Wir beobachten doch heute schon, wie
Arten aus den Zuflüssen immer wieder Anlauf nehmen. Wenn das Salz weg
wäre, würden die binnen kürzester Zeit die Werra übernehmen.“
Über den ministerialen Spruch kann auch Angler Förster nur lachen:
„Unser Besatz kommt aus Süßwasser und gewöhnt sich ganz
schnell an das Salz. Da wird’s umgekehrt nicht anders sein.“ Wissenschaftler
und Angler begrüßen gleichermaßen, was Thüringen für
die Werra tut. „Aber“, meint Braukmann, „solange das Salz
im Fluss bleibt, kann man das Ziel, einen guten Zustand gemäß Wasserrahmenrichtlinie
zu erreichen, schlicht vergessen.“
Der Grenzwert, wie zu vermuten, hat eher wenig mit Ökologie, aber viel
mit Ökonomie zu tun. Festgesetzt wurden die 2500 Milligramm im Jahr 1943,
„kriegsbedingt“, wie ein nicht mit Namen zu nennender Umweltbeamter
aus Hessen erklärt – schließlich war Kali auch Munitions-Rohstoff.
Drei Jahrzehnte war zwischen Preußen und Thüringen der erste Grenzwert
vereinbart worden: 850 Milligramm am Pegel Gerstungen. Aber damals war die
Kaliindustrie noch klein.
„Guter Zustand nicht zu halten“
Heute arbeiten bei K+S etwa 4500 Menschen. Hoch moderne Betriebe, man gibt
jährlich rund 60 Millionen Euro für Gewässerschutz aus. Zur
neuen Laugenleitung, versichert Sprecher Göbel, seien acht Alternativen
geprüft worden. Ein paar entfielen aus technischen oder rechtlichen Gründen,
der Rest, ob Leitung bis zur Nordsee oder Sole-Verdampfung, wäre „finanziell
nicht darstellbar“, erläutert Göbel. Ohnehin würde mit
der neuen Leitung nur zehn Prozent mehr eingeleitet als bereits jetzt. K+S
hat im vergangenen Jahr etwa 2,8 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Die Dividende
soll jetzt um 50 Cent auf 1,80 Euro steigen.
In Hessen betrachtet inzwischen eine Regierungsstudie einen „guten Zustand“
der Werra bis 2027
als „nicht wahrscheinlich“. Schlussfolgerung: „Daher sind
weniger strenge Umweltziele für das
Oberflächen- und Grundwasser zu formulieren.“ Ihr Autor, befragt
zum Arbeitsstand, sagt:
Wir arbeiten daran.
In Thüringen läuft zum Jahresende das „Modellprojekt Werra“
aus. Nach allem, was man hört,
erfolgreich. Die 25 Angler von Neustädt können wieder Fische kaufen.
Artikel im Freien Wort
vom 24.03.2006;
Im Internet unter:
www.freies-wort.de
Link zum Artikel aus der Zeitung Freies Wort (pdf, 103 kB)
Weitere
Informationen zur Salzproblematik finden Sie unter Werra / Kalibergbau
Link zur Seite des
BUND Thüringen
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