DUH präsentiert Eckdaten für vorsorgenden Hochwasserschutz

Die jüngsten Flutwellen in Deutschland und Europa werfen ein grelles Licht auf das Versagen der Politik – Deutsche Umwelthilfe erinnert an nicht umgesetzte Planungen und Gesetzesinitiativen und legt Vorschläge für einen nachhaltigen und wirksamen Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels vor

Berlin, 20. April 2006

„Jahrhundertfluten“ im Drei-Jahres-Rhythmus sind nach Überzeugung von immer mehr Wissenschaftlern Folge zunehmender, vom Menschen verursachten Klimaänderungen. Ihre verheerenden Konsequenzen entlang der Flussufer sind ganz sicher auch Folge unterlassener politischer Hilfeleistung. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) anlässlich der Präsentation eigener „Eckdaten für einen vorsorgenden Hochwasserschutz“ in Berlin hingewiesen.

An guten Vorgaben für einen nachhaltigen Hochwasserschutz gab es vor und nach den Hochfluten an der Oder (1997), in Bayern (1999, 2002, 2005), am Rhein (1995, 1998, 2001, 2003) und vor allem an der Elbe (2002, 2003, 2006) keinen Mangel. So hatte das Institut für Wasserwirtschaft und Kulturtechnik der Universität Karlsruhe im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes „Elbe-Ökologie“ des Bundesforschungsministeriums entlang der Elbe schon 1998 insgesamt 39 Standorte mit einer Fläche von ca. 37.000 Hektar für mögliche Deichrückverlegungen oder Polder identifiziert.

Umgesetzt ist bis heute ein einziges der damals genannten Projekte (Roßlau, Sachsen-Anhalt, gewonnene Retentionsfläche 140 Hektar), in der Realisierung befindet sich ein weiteres (Lenzen, Brandenburg, 425 Hektar). Die letztgenannte Deichrückverlegung bei Lenzen wurde von der DUH von Anfang an im Rahmen des Projektes „Lebendige Elbe“ – auch finanziell – unterstützt. Fünf Jahre später, im Jahr 2003 listete die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) – eine vom Bund gegründete Arbeitsgruppe unter Beteiligung Tschechiens und der deutschen Elbeanrainer-Länder – in einem „Aktionsplan Hochwasserschutz Elbe“ noch 31 weitere, notwendige Projekte (Deichrückverlegungen und Polder) mit einer zusätzlichen Überflutungsfläche von 11.555 Hektar auf. Auch diese Vorschläge blieben weitgehend ohne praktische Folgen. Stattdessen weist eine aktuelle, noch nicht veröffentlichte Fortschreibung des genannten IKSE-Berichts aus diesem Jahr nach Informationen der DUH noch 26 Projekte aus, mit gewinnbaren Flächen von nur noch 7.762 Hektar.

„Was wir beobachten, ist mit den Gesetzen der praktischen Vernunft nur schwer in Einklang zu bringen: Die Fluten steigen, die Pläne zu ihrer Bändigung schrumpfen“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Der vorsorgende Hochwasserschutz, der immer dann angekündigt werde, wenn die Not am größten sei, bleibe vor Ort regelmäßig Fiktion. „Seit Jahrhunderten werden die Deiche an der Elbe nach jedem Hochwasser in der bestehenden Trassenführung erhöht. Inzwischen sind Milliarden an Steuergeldern verbaut. Für die wirklich wirksamen, weil den Wasserstand senkenden Überflutungsflächen, existieren meist nur Pläne. Wir brauchen eine Flussoffensive an der Elbe, aber auch entlang der anderen deutschen Ströme, die endlich diesen sinnlosen Kreislauf durchbricht.“

In Zukunft müssen nach Überzeugung der DUH Überflutungsflächen genutzt werden, wo immer das möglich ist – auch und viel stärker als bisher an den Nebenflüssen im gesamten Einzugsgebiet eines großen Stroms. „Das bringt doch nichts! - dieses Standardargument von Deich- und Wasserbauingenieuren gegen kleinräumige Überflutungsflächen muss aus dem Wortschatz getilgt werden“, fordert Frank Neuschulz, der Leiter des Bereichs Naturschutz der DUH. Stattdessen müsse es künftig heißen: „Wir brauchen alles!“

Darüber hinaus müssten klare Festlegungen über Polderflutungen entlang der Flüsse getroffen werden, so dass die Unterlieger nicht länger auf die „freiwillige Solidarität“ von Ländern, Landkreisen und Kommunen am Oberlauf der Flüsse angewiesen seien. Neuschulz erinnerte daran, dass bei der Jahrhundertflut im Jahr 2002 allein die Flutung der Havelniederung mit einem Speichervolumen von 75 Millionen Kubikmetern eine Kappung der Elbe-Scheitelwelle von 41 cm bewirkt habe. „Beim vorsorgenden Hochwasserschutz brauchen wir Bonus- beziehungsweise Malusregelungen für alle Gebietskörperschaften bei einer vernünftigen Flächenbereitstellung auf der einen und zusätzlichem Flächenfraß etwa durch Ausweisung weiterer Neubaugebiete in potenziellen Flutungsbereichen auf der anderen Seite“. Außerdem müssten Kosten-Nutzen-Analysen Einzug in den Hochwasserschutz finden. Maßstab soll nach den DUH-Vorstellungen die erwartbare Absenkung des Wasserstandes bei Hochwasserereignissen pro investierter Million Euro sein.

Cornelia Ziehm, die Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH, forderte, dass die Politiker sich nicht unter Hinweis auf eine vielleicht irgendwann kommende EU-Hochwasserrichtlinie ihrer gegenwärtigen Verantwortung entledigen dürfen. „Es müsse jetzt und hier gehandelt werden. Es bedürfe nunmehr endlich stringenter bundesgesetzlicher Vorgaben zum Hochwasserschutz. Die Föderalismusreform biete dafür die Chance.“ Die zwischen Bund und Ländern aufgesplitterte Kompetenzverteilung im Bereich des Hochwasserschutzes muss ein Ende haben. Außerdem müsse der „Vorrang für einen vorsorgenden Hochwasserschutz vor technischen Maßnahmen wie Deicherhöhungen gesetzlich verankert werden.“ Das nach der Elbeflut von 2002 verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes“ habe bereits viele jetzt von der DUH aufgegriffene Vorschläge enthalten, ehe es im Vermittlungsausschuss „unter dem Einfluss von Länderegoismen immer weiter verwässert wurde“, sagte Ziehm. „Dieser Vorgang dürfe sich nicht ein zweites Mal wiederholen.“

Resch erklärte, die DUH, die seit neun Jahren an der Elbe im Rahmen des Projekts „Lebendige Elbe“ aktiv für einen umweltverträglichen Hochwasserschutz einstehe, werde „sehr genau beobachten, wo in Zukunft die vielen schönen Ankündigungen dieser Tage geräuschlos zu den Akten gelegt werden sollen. Wir wollen einen vorsorgenden Hochwasserschutz, der die Menschen vor dem Fluss, aber auch den Fluss vor den Menschen schützt“. Einen wirkungslosen Hochwasserschutz gegen die Natur, wie in Niedersachsen, wo sich Umweltminister Hans-Heinrich Sander in den letzten Jahren „mit Inbrunst dem Kampf gegen die Gehölze der Elbtalauen“ gewidmet habe, dürfe es nicht noch einmal geben.

Hintergrundpapier vorsorgender Hochwasserschutz (pdf, 119 kB)

Für Rückfragen
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: Mobil.: 0171/ 3649170, Fax.: 0 77 32/ 9995-77, E-Mail: resch@duh.de

Dr. Frank Neuschulz, Leiter Naturschutz, Gartenstr. 7, 29475 Gorleben; Mobil: 0160/8950556, Fax.: 05882/220; E-Mail: neuschulz@duh.de

Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030/258986-18, Fax.: 030/258986-19, Mobil: 0160/5337376, E-Mail: ziehm@duh.de

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