Was
in Hessen vor Ort nicht geht, soll Thüringen hinnehmen
Tausend Jahre soll die Lauge in die Werra fließen
VON REDAKTIONSMITGLIED JENS VOIGT
09. 06. 2006 (Artikelübernahme
mit freundlicher Genehmigung der Zeitung Freies Wort)
Für gewöhnlich ist Ulrich Göbel ein durchaus
charmanter Plauderer. Doch in diesen Tagen gibt sich der Kommunikations-Chef
der K+S Aktiengesellschaft in Kassel zugeknöpft. Fragen zum Thema Werraversalzung
und erst recht zur geplanten Laugenleitung mag Göbel „zum gegenwärtigen
Zeitpunkt“ nicht beantworten: „Für Ihr Verständnis bedanken
wir uns.“
Auf Thüringer Seite indes neigt sich das Verständnis für die
Pläne von Kali + Salz vernehmlich dem Ende zu. "Ich bin wirklich
bedient", schnaubte wutentbrannt etwa die SPD-Umweltexpertin Dagmar Becker
kürzlich nach einer Sitzung des Landtagsausschusses, "das war doch
eine Farce". Vier Vertreter des Konzerns hatten vorgetragen, warum ab
2008 jährlich rund 700 000 Kubikmeter Salzwasser vom hessischen Werk
Neuhof über 63 Kilometer gen Philippsthal gepumpt werden und dort in
die Werra fließen müssen. Andere Varianten, das Neuhofer Haldenabwasser
loszuwerden, seien zu teuer, umweltrechtlich oder technisch nicht machbar,
hieß es.
Abgesandte aus
Erfurt haken nicht ein
Während SPD- und Linkspartei-Abgeordnete Einwand um Einwand erhoben,
so Becker, hätten die Abgesandten des Thüringer Umweltministeriums
den Konzern-Proklamationen mehr oder weniger „ergeben gelauscht“.
Und auch dann nicht eingehakt, als die K+S-Leute deutlich machten, wie lange
die Werra an den hessischen Salzwasser-Tropf gehängt werden soll: 1000
Jahre soll die Lauge fließen - solange, wie es braucht, bis der Regen
die riesige Halde in Neuhof aufgelöst hat. „Da war selbst ich für
einen Moment sprachlos“, bekennt Linkspartei-Umweltmann Tilo Kummer.
Ein Jahrtausend als Planungszeitraum, das hätte sich noch nicht einmal
das SED-Politbüro zu träumen gewagt, poltert er. Und fragt sich,
was denn wohl aus Halde, Leitung und sonstigem Kali-Erbe werde, wenn in geschätzt
30 bis 40 Jahren die hessisch-thüringischen Lagerstätten erschöpft
sein werden: „Dann darf sicher der Staat übernehmen, was Kali und
Salz hinterlassen hat.“
Umweltrecht verbietet
Einleitung in kleine Bäche
Vorerst indes geht es um eine Leitung, die Kalilauge von Hessen wenige hundert
Meter vor der Landesgrenze in die Werra führen soll, die anschließend
nach Thüringen abbiegt. Und es stellen sich Fragen. Zum Beispiel nach
dem Sinn der Leitung.
Rund neun der bislang etwa 14 Millionen Kubikmeter Salzwasser, die jährlich bei K+S anfallen, wurden bislang in tiefe Gesteinsschichten gepumpt. Doch diese so genannte Verpressung, ohne hin ökologisch bedenklich, gelangt an ihr Ende. In etwa fünf Jahren wären die letzten Reserven bei Neuhof erschöpft. Von nun an in die dortigen Gewässer einzuleiten, verbietet das Umweltrecht. Denn die relativ kleinen Bäche wie die Fliede dürfen in ihrem Chloridgehalt, der heute bei rund 90 Milligramm je Liter liegt, maximal bis zum Limit der Trinkwasserverordnung (200 mg/l) beeinflusst werden. Einen Ausweg bietet die Werra. Hier gelten, obwohl von Umweltschützern und Biologen seit Jahren kritisiert, 2500 Milligramm je Liter als Chlorid-Grenzwert. Den lastet der Konzern bisher nicht kontinuierlich aus. In diese Chlorid-Täler hinein könnte das Salzwasser aus Neuhof plätschern und würde trotzdem innerhalb des genehmigten Limits bleiben, argumentiert K+S.
Soweit die Theorie. Praktisch scheint die „salzlastgesteuerte Einleitung“, die der Konzern seit dem Jahr 2000 kurz vor der Ulstermündung in die Werra betreibt, nicht immer zu funktionieren. Dem Linkspartei-Abgeordneten Frank Kuschel teilte die Landesregierung jetzt mit, seit Oktober 2004 sei der Grenzwert in neun Fällen „kurzzeitig“ überschritten worden. Vom Regierungspräsidium Kassel hieß es auf Anfrage unserer Zeitung, seit Anfang 2005 sei die Obergrenze viermal durchbrochen worden, „zwischen 40 und 400 Milligramm“, so Sprecher Michael Conrad. Obwohl die letztere Überschreitung immerhin das Doppelte des insgesamt in normalen deutschen Flüssen zulässigen Chlorids ausmacht, sei jedoch noch nie ein Bußgeldverfahren gegen K+S verhängt worden. Weil die Überschreitungen nicht „schwerwiegend und anhaltend genug“ waren sowie angeblich durch „schwankende Abflüsse aus Wasserkraftanlagen“ verursacht, die nicht dem Konzern gehören.
Wer diese Messergebnisse selbst überprüfen will, hat es allerdings schwer: In der Datenbank der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie sind nur Monats-Mittelwerte abrufbar, für etliche Zeiträume in zurückliegenden Jahren fehlen die Angaben ganz. Und seit Anfang 2005 gibt's gar nichts mehr - Thüringen hat den Messpegel Gerstungen nämlich an Hessen übertragen, das von Online-Preisgaben offenbar nichts hält. Wer aktuelle Salzwerte der Werra haben will, muss sich schon höchstselbst nach Kassel begeben.
Dort sitzt auch K+S, das über eigene Messwerte verfügt, die freilich nicht öffentlich sind. Unserer Redaktion liegen jedoch einige der Tabellen vor. Demnach wurde der Chlorid-Grenzwert in der Werra bei Gerstungen seit Januar 2000 mindestens 43 mal überschritten. Und in der Ulster überstieg zumindest zwischen Oktober 2004 und Juni 2005 die Salzfracht das Limit quasi permanent und bis zum Vierfachen des Grenzwerts - obwohl nach Aussage des Regierungspräsidiums in Kassel die 2500 Milligramm je Liter auch dort gelten.
Biologe befürchtet
fatale Folgen für die Oberweser
Auch deswegen bezweifeln Oppositionspolitiker wie Becker und Kummer die Versicherung
von K+S, es werde trotz neuer Leitung zu keiner zusätzlichen Versalzung
der Werra kommen. „Selbst wenn man vielleicht nicht den Grenzwert überschreitet,
so würde doch in absoluter Menge mehr Salz in den Fluss kommen“,
meint Kummer. Statt zwischen 250 und teils über 2500 Milligramm je Liter
schwankend, würde die Werra dann mit beständig hoher Salzfracht
gen Weser ziehen, auch und gerade in Hochwasser-Lagen. Für Fauna und
Flora in den Auengebieten mit wahrscheinlich verhängnisvollen Folgen:
Süßwasserarten könnten geschädigt und verdrängt
werden, salztolerante Gewächse und Tiere Raum gewinnen.
„Insgesamt ist eher eine Verringerung der Artenvielfalt zu erwarten“, meint der Biologe Ulrich Braukmann von der Uni Kassel und macht auf eine weitere Langzeit-Wirkung aufmerksam: Für die nach langen Jahren endlich wieder mehr Süßwasser-Arten zählende Oberweser könnte der Dauer-Salzschub aus der Werra „fatale Folgen“ haben. Spätestens damit wäre denn auch die Wasser-Rahmenrichtlinie der EU endgültig verletzt, die jegliche Gewässer-Verschlechterung verbietet.
Umweltschützer
und Opposition laufen Sturm
Während indes die Opposition und die Naturschützer Sturm laufen
gegen das Laugenleitungs-Projekt und eine „Verpökelung der Auen
nach der Werra-Versalzung“ nicht hinnehmen wollen, macht man im Erfurter
Umweltministerium lange Zähne. Genehmigungsbehörde für die
Leitung sei schließlich das Regierungspräsidium in Kassel, meint
Sprecherin Katrin Trommer-Huckauf, die Sache mit der Auen-Schädigung
nicht erwiesen, zudem sei bei aller Diskussion doch bitteschön an die
Arbeitsplätze bei K+S zu denken. „Genau dieses Argument höre
ich von K+S seit Jahren“, kommentiert SPD-Fachfrau Becker, „aber
immer, wenn Thüringen vor dieser Drohung eingeknickt ist, gab´s
hinterher auch nicht mehr Jobs.“
Noch sei in Sachen Leitung „gar nichts entschieden“, versucht das Umwelt-ministerium zu beschwichtigen. Entschieden sicher nicht. Doch der Zug rollt: Laut Regierungspräsidium Kassel ist die Umweltverträglichkeits-prüfung eingeleitet. „Für Ende 2007“, so meinte K+S-Sprecher Göbel kurz vor seiner Schweige-Phase, „rechnen wir mit Baufreiheit.“
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zum Artikel im Freien Wort online
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