Bitterer
Beigeschmack
1000 Jahre lang will ein Kali-Unternehmen Millionen Kubikmeter
Salz in die Werra leiten
von Falk Heunemann
20. 06. 2006 (Artikelübernahme
mit freundlicher Genehmigung der Zeitung Thüringer Allgemeine)
Vom hessischen
Fulda will Kali+Salz eine 63 Kilometer lange Leitung an die Werra legen, um
Salzabwässer in den Fluss zu spülen. Die Thüringer Landesregierung
hat damit kein Problem. Umweltschützer warnen vor massiven Schäden
für Natur und Ackerflächen.
Von Falk HEUNEMANN
PHILIPPSTHAL/WERRA. Es
ist ein Bild wie aus der Touristenwerbung. Hinten ein paar Berge, vorn
wilde Blumen, rechts und links ein paar Büsche und Bäume. Und mittendurch
schleppt sich der Fluss über sein Bett.
Bis zu dieser Stelle: Ein rundes Rohr ragt aus dem steilen Ufer, breit genug,
um hineinzukriechen. Braune Brühe schießt aus ihm in den Fluss
und lässt ihn selbst viele Kilometer abwärts schmecken wie bitteres
Nordsee-Wasser. Es ist hoch konzentrierte Salzlauge aus dem Kaliwerk in Philippsthal
an der Werra, zwischen Bad Hersfeld und Bad Salzungen. Weitere Einleitungen
gibt es im nahen Heringen und bei Dorndorf, wo einst das DDR-Kombinat Kali
förderte.
Da könne doch noch mehr Salzlauge nicht schaden, findet zumindest Kali+Salz
(K+S). Der Konzern - Jahresumsatz: 855 Millionen Euro - will eine Million
Kubikmeter Salz pro Jahr in Philippsthal in die Werra einleiten. Zusätzlich.
Die Bracke soll aus dem 63 Kilometer nahen Neuhof-Ellers bei Fulda kommen,
wo K+S Rohsalz fördert. Dabei fallen jährlich über zwei Millionen
Tonnen Abfall an und landen auf einem 160 Meter hohen, weit sichtbaren Abraumberg.
Dort soll das Salz weg. Regen löst es auf, das dauert 1000 Jahre. Schlucken
soll es die Werra. Sie sei die einzige Alternative. Alle anderen, so der Konzern,
seien zu teuer und bedrohten die Produktion, also Arbeitsplätze.
Ursprünglich hatte
man dort überlegt, das Abwasser in die nahe Fulda oder den Main zu kippen.
Doch das, sagt K+S, sei nicht möglich. Main und Fulda sind Süßwasserflüsse,
da dürfe kein Salz rein.
Bei der Werra ist das anders. Genau 2,5 Gramm Chloride pro Liter dürfen
dort landen - zehn Mal mehr als im Trinkwasser erlaubt ist. Seit zwei Jahrhunderten
wird an Werra und Weser Salz gefördert. Die Abwässer landeten immer
in den Flüssen. Erst als vor 90 Jahren sich die Bremer beschwerten, weil
selbst sie das Wasser der Weser nicht mehr trinken konnten, wurde ein Grenzwert
am Weser-Zufluss Werra festgelegt. Für Pflanzen, Tiere und Thüringer
blieb die Werra versalzen. Zu DDR-Zeiten wurde er sogar um das bis zu Zwanzigfache
überschritten.
Erst seit der Schließung der Thüringer Kaliwerke nach 1990 und
50 Millionen Euro für Sanierungen wird der Grenzwert eingehalten, obwohl
die hessischen Fabriken weiter ihre Salzabwässer einleiten. Es gibt sogar
schon erste Fische im einst toten Fluss.
Das soll, so K+S, sich auch durch die Laugenleitung nicht ändern. Denn
das Salz solle nur in die Werra eingeleitet werden, wenn der Grenzwert nicht
erreicht ist: bei Hochwasser. Dabei überflutet der Fluss die angrenzenden
Auen. Viele sind Naturschutzgebiet oder werden für Getreideanbau genutzt.
Bislang war das kein Problem, denn durch die viel größeren Wassermengen
bei Flut sank der Salzgehalt auf ein Fünftel. Baut K+S jedoch die Leitung,
werden Unmengen Haldesalz bei
Hochwasser in die Werra gekippt.
"Auen und Äcker werden ebenfalls für 1000 Jahre versalzen",
fürchtet Stephan Gunkel vom Umweltverband BUND. Zudem könne sich
die Werra auf Jahrhunderte nicht vom Kali-Bergbau erholen -
selbst wenn in 35 Jahren die Vorkommen eigentlich erschöpft sind.
Das sei ein "Märchen" mit der Auen-Versalzung, so das Unternehmen.
Das Salz sei doch im Wasser gelöst und würde wieder mitgenommen,
wenn das Hochwasser zurückgeht. Berechnungen von
Umweltschützern sagen das Gegenteil.
Dabei habe der Konzern Alternativen zu der Einleitung, sagt Tilo Kummer von
der Linkspartei sowie Vorsitzender des Thüringer Umweltausschusses. K+S
könne doch alte Stollen mit dem Abraum auffüllen und den Rest mit
Geröll abdecken. So könne kein Regen das Salz herauswaschen. Das
gehe nicht, sagt jedoch das Unternehmen. Über 100 Millionen Tonnen Abdeckmaterial
wären für Neuhof nötig. Die aufzutragen dauere 400 Jahre -
ganz zu schweigen von hunderten Lkw, die minütlich durch die Dörfer
müssten. Merkwürdig, findet Kummer. Denn K+S lobt sich derzeit in
einer Ausstellung im Landtag für die Abdeckung der Harzer Kalihalden
Bleicherode, Menteroda, Roßleben und Sondershausen. 1,5 Millionen Tonnen
an Material wurden über diese fünf Halden gelegt. Insgesamt. Ausgerechnet
für die Halde Neuhof errechnet der Konzern die 72-fache Menge. Die sei
nötig, weil das
Schüttgut flach aufgetragen werden müsse, damit es in Zukunft nicht
zu Hangabrutsch komme. Eine 63 Kilometer lange Leitung zu bauen, die 1000
Jahre lang Salz in die Werra pumpt, sei viel billiger. Selbst inklusive Unterhalt:
"Wir haben für diese Zeit Rücklagen im hohen mehrstelligen
Millionenbereich
gebildet", so ein Konzernsprecher.
Die Thüringer Landesregierung sieht in der Leitung kein Problem. Erstens
sei man gar nicht zuständig, sondern die Hessen, wo die Hochdruckleitung
geplant ist. Und selbst wenn, es gehe ja nur um kleine Mengen: Der Salzgehalt
werde sich durch die Million Kubikmeter Lauge pro Jahr grundsätzlich
nicht ändern, heißt es aus dem Umweltministerium.
Der BUND hofft lieber auf die EU. Die könnte, sagt der Verband, vielleicht
mit dem so genannten Verschlechterungsverbot den Bau verhindern. Könnte.
Vielleicht.
Umweltpolitiker Kummer fordert stattdessen, dass Thüringen niedrigere
Salz-Grenzwerte für die Werra bei Hochwasser festlegt. "Dann",
so der Linkspartei-Abgeordnete, "hat sich die Salzleitung erledigt".
(Thüringer Allgemeine vom 20.06.2006, S. 3.)