Offener Brief zum Natur- und Landschaftsschutz in Hessen
An den Hessischen Ministerpräsidenten Herrn Roland Koch

Bonn, 24. Oktober 2006

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

die Zielsetzung des von Ihrer Regierung vorgelegten Entwurfs für ein neues hessisches Naturschutzgesetz erfüllt uns mit großer Sorge. Wir sind überzeugt davon, dass die beabsichtigten neuen Regelungen den Schutz von Landschaft und Natur mindern und erschweren. In dem Vorhaben erkennen wir einen durchgehenden Zug, den Naturschutz auf das von Brüssel und Berlin zwingend vorgegebene Maß zu beschränken, im Übrigen aber so viele Freistellungen und Ausnahmen wie irgend möglich zu gestatten. Aber ist es wirklich Ihre Absicht, auf diesem Felde Eigen- vor Gemeinnutz rangieren zu lassen, wie es hessische Umweltamtsleiter und Hochschullehrer mit guten Gründen befürchten?

Wie zahlreiche um die Umwelt besorgte Sprecher in der Anhörung des Hessischen Landtags bemängeln wir vor allem folgende fünf Punkte:

1. Die Aufhebung von 15 großen Landschaftsschutzgebieten reißt eine anderweitig kaum zu schließende Lücke in die großflächige Sicherung des natürlichen Charakters von erhaltenswert-attraktiven Landschaften, die den Reiz und die Unverwechselbarkeit des Bundeslands Hessen ausmachen. An diesen Landschaftgestalten vor allem macht sich das Heimatgefühl der Bevölkerung fest.

2. Ganz und gar unverständlich ist uns die Abschaffung des ausdrücklichen Schutzes der Streuobstwiesen, die doch zusammen mit dem auf ihnen gewonnenen Apfelwein als ein Markenzeichen Hessens gelten. Sind doch in den letzten Jahrzehnten schon über 90 Prozent dieser ehemals allgegenwärtigen bunten Landschaftselemente verloren gegangen!

3. Für sehr bedenklich halten wir die neue Bestimmung, der zufolge unerlaubte Eingriffe in die Natur, also Gesetzesverstöße, nunmehr verfolgt werden können, aber nicht mehr in jedem Falle müssen. Auf diese Weise können böse Beispiele ungestraft Schule machen!

4. Dass nicht mehr alle Naturschutzgebiete im Hinblick auf den mit ihnen angestrebten Zweck gepflegt werden müssen, öffnet nach unserer Meinung Tor und Tür für deren Niedergang.

5. Betrachtet die Landesregierung die anerkannten Naturschutzverbände und die ehrenamtlich mitarbeitenden Naturschützer etwa als störende Elemente, so dass sie deshalb deren Mitwirkung Zug um Zug und auch jetzt wieder zurückdrängt? - Man sollte doch im Gegenteil jeden sachkundigen Einsatz für das Gemeinwohl ermutigen und stärken!

- Von Ausnahmen abgesehen beschränken die Unterzeichner ihre Interventionen auf die nationale Ebene. Aber das neue hessische Naturgesetz ist eine solche Ausnahme, weil wir in ihm eine Zurücknahme von Umweltschutz, ein "Zurück nach Gestern", sehen.
Dieses ungute Beispiel fällt umso schwerer ins Gewicht, als es zur Nachahmung reizen könnte und das umso mehr, als der Naturschutz in einigen Jahren mehr oder minder ganz zur Ländersache werden soll.

- Wir fordern Sie auf, durch Rücknahme der anstößigen Vorschriften unsere Einwände und Befürchtungen zu entkräften. Die Bürger und Bürgerinnen lieben die Natur und wollen sie in ihrer ganzen Schönheit und Vielfalt erhalten sehen.

Hochachtungsvoll

Hubert Weinzierl | Präsident DNR
Dr. Angelika Zahrnt | Vorsitzende BUND
Olaf Tschimpke | Präsident NABU
Prof. Dr. Harald Kächele | Bundesvorsitzender DUH
Dr. Peter Prokosch | Geschäftsführer WWF
Prof. Dr. Manfred Niekisch
Prof. Dr. Michael Succow | Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur

Brief als pdf-Datei (746 kB)

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